Mezcal hat mehr zu bieten als einen toten Wurm

Tequila und Mezcal sind die Nationalspirituosen der Mexikaner. Doch worin unterscheiden sich die Agaven-Schnäpse denn eigentlich – ausser einem Wurm am Flaschenboden.

Mezcal-Novizen denken meistens, bei dem Kaktusschnaps handle es sich um den hässlichen Bruder des Tequila: eine unfeine, grobe Spirituose, auf billigste Art erzeugt, vertrieben ohne jede Gebiets- oder Qualitätskontrolle, als einziges Merkmal ein toter Wurm am Flaschenboden.

newsletter_1509_mezcal2Das ist grundsätzlich falsch, denn Mezcal ist eigentlich der Vater des Tequila. Bei der Herstellung von Mezcal gibt es eine geschützte Herkunftsbezeichnung mit klar definierten Produktionsprozessen und Qualitätsnormen (die geschützte Herkunftsbezeichnung für Mezcal erlaubt die Produktion in acht Staaten Mexikos: Oaxaca, Guerrero, San Luis Potosi, Zacateca, Durango, Guanajuato, Tamaulipas und Michoacan). Zudem ist die Agave, aus der Mezcal gemacht wird, eigentlich kein Kaktus, sondern ein Spargelgewächs. Und was den Wurm betrifft, so handelt es sich dabei vielmehr um eine Raupe, die im Mezcal jedoch gar nichts verloren hat.

Tequila ist in den meisten Fällen ein gänzlich industriell erzeugtes Produkt – Mezcal dagegen wird so gut wie immer von Hand gefertigt. Ausserdem muss Tequila nur zu 51 Prozent aus der Agave destilliert werden – der Rest kann aus irgendetwas anderem bestehen. Das ist bei Mezcal undenkbar.

Laut den 2005 eingeführten Qualitätsvorschriften kann Mezcal aus 23 verschiedenen Agave-Arten gebrannt werden; Tequila hingegen darf man ausschliesslich aus einer Sorte, der Agave Tequilana, auch Blaue Agave genannt, erzeugen. Dieser Fact ist schon deshalb ein Problem, weil es die biologische Vielfalt bedroht. Von den 220 Arten Agaven, die es weltweit gibt, sind 170 in Mexiko heimisch. Im Bundesstaat Jalisco, der Heimat des Tequilas, ist eine regelrechte Monokultur entstanden: die Blaue Agave hat alle anderen Sorten verdrängt.

newsletter_1509_mezcalEine Agave blüht in ihrem Leben nur ein einziges Mal; wie lange die Blüte dauert, hängt von der Sorte ab. Bei der Espadín sind es um die zehn Jahre. In der Zeit zwischen Januar und April wächst ein bis zu zehn Meter langer Blütenstand aus der Mitte der Pflanze. Die Blütenstände werden abgeschnitten, wenn sie entstehen, so dringt die gesamte Kraft der Pflanze in ihr Herz, das dann zwischen sechs Monaten und einem Jahr weiter wächst, bevor es geerntet wird.

Geerntet wird mit der Machete. Zuerst werden der Pflanze ihre langen Blätter abgehackt, danach die Wurzel. Übrig bleibt das Herz, das einer gigantischen Ananas gleicht und darum auch Piña (das spanische Wort für „Ananas“ oder „Zapfen“ wie in Tannenzapfen) genannt wird. Bei einigen Exemplaren wird der Blütenstand stehen gelassen. Pro Blüte erhält man dann so bis zu zweitausend Samen, die für die Neupflanzungen genutzt werden.

Zuerst werden die Piñas in einem Erdloch gekocht. Denn die Zuckerarten, die die rohe Pflanze enthält, müssen erst in Einfachzucker umgewandelt werden, damit daraus Alkohol entstehen kann. In dem Erdloch wird ein Feuer entfacht, welches die Steine erhitzt. Darauf kommen nun die Piñas, die anschliessend mit alten Fasern und Erde bedeckt werden. Wenn der Sauerstoff und mit ihm das Feuer ausgehen, kochen die Piñas vier Tage lang in der Wärme der Erde vor sich hin.

Auch dieser Schritt ist ein Grund für den Unterschied zwischen Tequila und Mezcal. Beim Tequila werden die Piñas mit Dampf gekocht. Das Kochen im Erdloch beim Mezcal gibt ihm jedoch den typischen leicht rauchigen Charakter.

Einen weiteren Tag brauchen die Piñas nun zum Abkühlen, bevor sie unter den Mühlstein kommen, den ein Lastgaul zieht. Der gepresste Saft wird anschliessend in die Gärbottiche gefüllt. Danach beginnt die wichtigste, delikateste und geheimnisvollste Phase der Herstellung: die lange Gärung. Sie ist es, die dem Mezcal seinen Körper und die komplexe Vielfalt an Aromen und Geschmacksnoten verleiht. Die Gärung setzt spontan ein, es werden keine Hefen zugesetzt, sondern nur die verwendet, die von selbst entstehen. Lediglich warmes Wasser wird noch beigefügt.

Nachdem die Fermentation abgeschlossen ist, beginnt der Brennvorgang. Der Mezcal wird nun zwei bis drei Mal in einer Kupferblase destilliert. Vor der Flaschenabfüllung wird das Destillat auf die gewünschte Trinkstärke reduziert.

Aber was ist denn nun mit der berühmten Raupe? Das war lediglich ein billiger Marketinggag! Ein Überbleibsel aus jener Zeit, als Mezcal noch als des Tequilas hässlicher grosser Bruder galt.